In ihrer einzigartigen Vielfalt kann uns Musik in vergangene Zeiten führen, unbekannte Welten eröffnen und unsere Sinne auf überraschende Wege leiten. Und das auch gleichzeitig! 2025 laden die Kasseler Musiktage dazu ein, der Musik aus unterschiedlichen Epochen, Kulturräumen und Genres an besonderen Orten in der Stadt auf vertrauten und geheimnisvollen Pfaden nachzuspüren.
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Johann Sebastian Bach (1685–1750): Ouvertüre h-Moll BWV 1067
Gervasio Tarragona Valli (*1989): Milonga Alfredo
Golfam Khayam (*1982): Doppelkonzert für Viola und Santur
Ludwig van Beethoven (1770–1827) / Johanna-Eleonore Dahlhoff (*1982):
Beethoven Beyond Time and Space
Eine Hommage an das Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73
Salim Salari (*1992), Rabie Azar (*1980), Peter Klohmann (*1986): alterity 2 4 what
Walid Khatba (*1981): Glanz des Himmels
Mit viel positiver Energie starten die Kasseler Musiktage 2025 unter dem Motto »Woher klingt Musik?« und eine umfassende Antwort darauf liefert schon das Eröffnungskonzert: Musik klingt von überall! Das Bridges Kammerorchester vereint Musiker*innen aus unterschiedlichsten Kulturen und bringt Instrumente und Klangsprachen aus aller Welt zusammen. Die Mitglieder des Ensembles sind Expert*innen für arabische, persische und europäische Klassik, Jazz, zeitgenössische Musik, osteuropäische Folklore sowie zentralasiatische und lateinamerikanische Traditionen. Auf Grundlage ihrer individuellen musikalischen Wurzeln komponieren und arrangieren sie ihre Werke selbst – so entsteht eine transkulturelle Musik, die Grenzen überwindet und neue Klangräume öffnet. Zu hören ist unter anderem ein Doppelkonzert für Viola und Santur – einem zitherähnlichen Instrument aus Persien – der iranischen Komponistin Golfam Khayam sowie eine Hommage an Ludwig van Beethovens fünftes Klavierkonzert. In persönlicher Atmosphäre erzählen die Musiker*innen die Geschichten hinter den Werken und schaffen so eine direkte Verbindung zum Publikum. Später im Festival begegnet man der neugierigen Perspektive des Bridges Kammerorchester erneut: In einem kreativen Projekt mit dem Studio Lev Kassel teilen alle Mitwirkenden ihre Freude am gemeinsamen Schaffensprozess – hier wie im Eröffnungskonzert überraschende Momente ausgelassenen Musizierens.
Johann Sebastian Bach (1685–1750):
Konzert für zwei Cembali C-Dur BWV 1061a
Kantate Amore traditore für Bass und Cembalo BWV 203
Concerto nach italienischem Gusto BWV 971
Georg Philipp Telemann (1681–1767):
Kantate Die Hoffnung ist mein Leben TWV 20:48, arrangiert für Bass und zwei Cembali
Doppelkonzert für Blockflöte und Traversflöte e-Moll TWV 52:e1, arrangiert für zwei Cembali
Georg Friedrich Händel (1685–1759):
Ouverture – Adagio – Arie „Lascia ch’io pianga“ aus Rinaldo HWV 7a/b, arrangiert für Cembalo
Kantate Dalla guerra amorosa für Bass und Basso continuo HWV 102a
Kantate Spande ancor a mio dispetto HWV 165, arrangiert für Bass und zwei Cembali
Woher klingt Barock? Das Hallenbad Ost wird zum Resonanzkörper für barocke Musik voller Feingefühl, Affekt und Virtuosität. In dieser einzigartigen Atmosphäre begegnen sich drei Künstlerpersönlichkeiten auf Augenhöhe: Matthias Lutze mit seiner wandlungsfähigen Bassstimme und die beiden Cembalistinnen Flóra Fábri und Christine Schornsheim, die sich mit technischer Brillanz und farbigem Spiel die Bälle zuwerfen. Die Dramaturgie des Abends lebt vom Wechselspiel zwischen Virtuosität und Intimität. Johann Sebastian Bachs Konzert für zwei Cembali in C-Dur eröffnet mit energiegeladenem Glanz, während seine Kantate Amore traditore für Bass und Cembalo sowie Georg Friedrich Händels Kantate Dalla guerra amorosa für Bass und Basso continuo die wechselvollen Leidenschaften der liebenden Seele musikalisch einfangen. Auch die berühmte Arie »Lascia ch’io pianga« aus Händels Oper Rinaldo entfaltet – in dieser kammermusikalischen Fassung für Gesang und Cembalo – ihre ganze Ausdruckskraft: schlicht, klar und tief berührend. Unterschiedliche Instrumentierungen, Improvisationen und Verzierungen waren in der Barockzeit üblich und beliebt. In Kassel sind Bearbeitungen für zwei besonders klingende und schön anzuschauende Instrumente zu hören, die ganz in der Nähe entstanden sind: Seit Jahrzehnten werden die Tasteninstrumente aus der Werkstatt von Jürgen Ammer international von herausragenden Interpret*innen gespielt, nun erklingen gleich zwei von ihnen an einem der attraktivsten Konzertorte in Kassel.
Ensemble Continuum
Viola Blache, Sopran und Konzept
Bernadette Beckermann, Alt
Martin Schicketanz, Bass
Anna Schall, Zink
Luise Enzian, Harfen
Mirjam-Luise Münzel, Liam Byrne, Viola da Gamba, Arrangement und Konzept
Ildiko Ludwig, Viola, Violine
Jonas Nordberg, Lauten
Lola Mlácnik, Vibraphon, Marimbaphon, Glockenspiel, historische Trommeln
Elina Albach, Cembalo, Orgel, Konzept und Leitung
Musik von:
William Lawes (1602–1645)
William Byrd (ca. 1543–1623)
Orlando Gibbons (1583–1625)
Shara Nova (*1974)
Es waren rauschhafte Feste mit opulenten Kostümen, Tanz und natürlich Musik, die in England im 17. Jahrhundert die Menschen unterhielten. Das Spiel mit Geschlechterrollen und Masken gehörte wie selbstverständlich dazu. Mit Musik aus dieser Zeit und popkulturellen Klängen von heute beleben Elina Albach und ihr Ensemble Continuum aus Berlin diese ausgelassenen Ereignisse neu. Bereits 2023 begeisterten sie bei den Kasseler Musiktagen mit ihrer besonderen Verschränkung ganz alter und neuer Klänge in Vespers and Dreams. Über 400 Jahre hinweg zeigen sich erstaunliche Parallelen zwischen der Musik und den Themen der US-amerikanischen Popkünstlerin Shara Nova und barocker Komponisten wie William Lawes und William Byrd. Verwandlungen und das Spiel mit Identitäten verbinden sich im Programm Music for the Multiverse, das barocke Allegorien aufgreift: Liebe, Tod, Hoffnung, Tugend und Zeit. In der außergewöhnlichen Besetzung von drei Sänger*innen und acht Multiinstrumentalist*innen arrangiert das Ensemble sowohl die zeitgenössische als auch die frühbarocke Musik für vielfältig einsetzbare Instrumente und schafft mit ihrer ganz eigenen Klangsprache eine zeitübergreifende Klangästhetik. Es entsteht ein berührendes und außergewöhnliches Konzerterlebnis, das an die revolutionäre Masque-Tradition im England des 17. Jahrhunderts anknüpft: zwischen barocker Ausgelassenheit und zeitgenössischer Camp-Kultur.
Sebastian Wittiber, Flöte
Michael Höfele, Oboe, Englischhorn
Maria Ollikainen, Klavier
Werke von:
Lili Boulanger (1893–1918)
Claude Debussy (1862–1918)
Mélanie Bonis (1858–1937)
Florent Schmitt (1874–1939)
Jules Demersseman (1833–1866)
Welch zauberhafte Klänge mit französischer Musik im Hallenbad Ost entstehen, ließen 2023 Musiker*innen des hr-Sinfonieorchester das hingerissene Publikum erleben. Nach den Pariser Harfenwelten kehrt der Flötist Sebastian Wittiber mit zwei Kolleg*innen für instrumentale Abendgesänge an diesen einzigartigen Konzertort zurück: In Chant du soir erwartet die Zuhörer*innen erneut ein Abend ganz im Zeichen französischer Klangpoesie – mit Werken des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts in aparten, teils selten gehörten Besetzungen für Flöte, Oboe, Englischhorn und Klavier. Im Zentrum steht die Komponistin Lili Boulanger, die 1913 als erste Frau den renommierten Rom-Preis gewann. Ihre Musik fasziniert durch impressionistische Farbigkeit, poetische Tiefe und einen unverkennbar eigenen Tonfall. Ergänzt wird das Programm durch Werke ihrer Zeitgenoss*innen: Mélanie Bonis, die mit ihrer lyrischen Flötensonate op. 64 lange übersehen wurde, sowie Claude Debussy, dessen berühmtes Prélude à l’après-midi d’un faune in einer reizvollen Kammerfassung erklingt. Auch das melancholische Chant du soir von Florent Schmitt und das virtuose Duo brillant über Gioacchino Rossinis Oper Guillaume Tell von Jules Demersseman fügen sich klanglich stimmig in diesen Abend. Mit Sebastian Wittiber musizieren Michael Höfele an der Oboe und dem Englischhorn sowie Maria Ollikainen am Klavier. Und ein charmantes Detail am Rande: Michael Höfele ist tatsächlich der Onkel des Trompeters Simon Höfele, der das Publikum in gleich zwei Konzerten im Hallenbad Ost bei den Musiktagen 2024 begeisterte.
Berivan Canbolat, Bağlama, Gesang
Studio Lev Cho:r
Krystian Köhn, Konzeption, musikalische Leitung
Lieder aus verschiedenen Welten, Zeiten und Genres erklingen mal in spielerisch-ironischer, mal pathetisch-ernster Weise, verflochten durch ein scheinbar unscheinbares Tier: den Regenwurm. Kein Wunder, ist es doch ein weltweiter Wunsch, dass wir diesem stillen und faszinierenden Lebewesen nicht weiter den Boden unter unseren Füßen entziehen. Fragmente einer wundervollen Welt und sich ändernder Zeiten werden in der Musik lebendig. Gemeinsames Singen wird zur Erinnerung, Bestandsaufnahme und Utopie über die Generationen hinaus. Wird der Regenwurm überleben?
Bereits zum dritten Mal gestaltet der Cho:r des Studio Lev Kassel ein eigenes Projekt bei den Kasseler Musiktagen. Im inspirierenden Austausch mit einer Musikerin des Bridges Kammerorchester, das im Eröffnungskonzert Klänge aus verschiedenen Kulturkreisen zu einem vielfältigen musikalischen Ereignis formt, widmen sich die jungen Sänger*innen des Studio Lev Cho:r Songs und Stücken unterschiedlicher klanglicher Topografien. Gemeinsam mit dem musikalischen Leiter Krystian Köhn bereitet Berivan Canbolat, Sängerin und Spielerin des türkischen Zupfinstruments Bağlama, den Mitwirkenden und dem Publikum den musikalischen Boden für anregende und außergewöhnliche Pfade.
In Kooperation mit dem Studio Lev Kassel e. V. und der WELL being Stiftung
Eckhard Manz, Orgel
Staatsorchester Kassel
Ainārs Rubikis, Leitung
In Kooperation mit dem Staatstheater Kassel
Ramina Šerkšnytė (*1975): De profundis für Streichorchester
Peter Tschaikowsky (1840–1893): Serenade C-Dur für Streichorchester op. 48
Kenneth Leighton (1929–1988): Konzert für Orgel, Streichorchester und Pauken op. 58
Eines der beliebtesten Werke Peter Tschaikowskys steht im Zentrum dieses Konzerts mit dem Staatsorchester Kassel unter der Leitung des neuen Generalmusikdirektors Ainārs Rubikis bei den Kasseler Musiktagen: Die Serenade für Streichorchester wurde 1882 uraufgeführt und fand schon damals großen Anklang – sowohl beim Publikum als auch bei den Ausführenden. Mit ihrer Mischung aus romantischer Wärme und tänzerischer Leichtigkeit zählt sie bis heute zu den meistgespielten Orchesterwerken des Komponisten. Große Emotionen prägen auch De profundis für Streichorchester der litauischen Komponistin Raminta Šerkšnytė. Der Titel – lateinisch »aus der Tiefe« – verweist auf den Psalm 130 und spiegelt ein tiefes existenzielles Empfinden wider. In ihrer eindrucksvoll schwebenden Klangsprache macht Šerkšnytė das menschliche Schwanken zwischen Euphorie und Enttäuschung spürbar. Ein besonderer Höhepunkt ist das selten gespielte Orgelkonzert des britischen Komponisten Kenneth Leighton, in dem Kontraste zwischen Klage, Toccata und Choral die wundersame Orgel in der Martinskirche mit den Klängen des Staatsorchesters verschmelzen lassen. Als Solist ist hier Eckhard Manz zu erleben, der den Kasseler Musiktagen, ebenso wie das Staatsorchester Kassel, seit vielen Jahren eng verbunden ist.
Freiburger Barockorchester
Gottfried von der Goltz, Violine und Leitung
Johann Sebastian Bach (1685–1750): Suite Nr. 2 h-Moll BWV 1067
Georg Philipp Telemann (1681–1767): Konzert F-Dur für drei Violinen TWV 53:F1
Georg Friedrich Händel (1685–1759):
Concerto grosso D-Dur op. 6 Nr. 5 HWV 323
Wassermusik Suite Nr. 3 G-Dur HWV 350
Concerto grosso a-Moll op. 6 Nr. 4 HWV 322
u. a.
Barocke Klangpracht, aufgeführt im historischen Bewusstsein und leidenschaftlicher Musizierfreude: Das renommierte und weltweit gefragte Freiburger Barockorchester ist seit Jahrzehnten endlich einmal wieder bei den Kasseler Musiktagen zu erleben – mit einem Abend, der musikalische Lebenslust in ihrer schönsten Form erfahrbar macht. Unter der Leitung von Gottfried von der Goltz entfaltet sich ein festliches Programm, in dem gleich drei Werke von Georg Friedrich Händel erklingen: Zwei Concerti grossi aus dem berühmten Opus 6 sowie die strahlende Wassermusik-Suite Nr. 3, deren majestätische Fanfaren, Tanzsätze und festliche Streicherlinien ursprünglich für eine königliche Bootsfahrt auf der Themse komponiert wurden. Mit Johann Sebastian Bachs Suite Nr. 2 h-Moll für Flöte und Streicher wird ein weiteres Meisterwerk präsentiert, das mit französischem Esprit, virtuosen Solopassagen und kunstvoller Struktur begeistert. Besonders der abschließende Badinerie-Satz zählt zu den berühmtesten Momenten barocker Orchesterliteratur. Dazwischen setzt das spritzige Konzert für drei Violinen von Georg Philipp Telemann farbenfrohe Akzente. Hier begegnen sich drei Soloviolinen in einem lebendigen Dialog aus Klang, Bewegung und Kontrapunkt – typisch für Telemanns unerschöpflichen Erfindungsreichtum.
Francis Poulenc (1899–1963): Concert champêtre FP 49
Igor Strawinsky (1882–1971): Pulcinella – Suite
Jean-Baptiste Lully (1632–1687): Le Bourgeois gentilhomme – Suite
Jean-Philippe Rameau (1683–1764): Les Indes galantes – Suite
Ein Cembalokonzert, das noch keine 100 Jahre alt ist? Ja, das Concert champêtre von Francis Poulenc würzt den barocken Klang mit modernen Harmonien, die Liaison gelingt furios. Und auch das Thema Suite wird in diesem Konzert ganz eigen beleuchtet: zweimal alt, einmal neu – wobei Frische keine Frage der Epoche ist. Das Frankreich des 20. Jahrhunderts blickt zurück auf die alten Meister des Barock: Der Dirigent, der gemeinsam mit dem hr-Sinfonieorchester diese besondere Perspektive einnimmt, heißt Maxim Emelyanychev. Der Russe gilt als Shooting-Star der Alten Musik, weil er ohne jede Attitüde, dafür mit extrem viel Neugier und musikantischem Puls ans Werk geht. Er leitet Ensembles der historisch orientierten Aufführungspraxis ebenso wie große Sinfonieorchester. Beim so spritzig-geistreichen Concert champêtre von Francis Poulenc, das Barockkomponisten wie Jean-Baptiste Lully und Jean-Philippe Rameau charmant zitiert, wird Emelyanychev selbst am Cembalo sitzen – er liebt es, ein Ensemble vom Tasteninstrument aus zu leiten: »Es ist tatsächlich eine ganz andere Verbindung mit dem Orchester, als wenn man nur dirigiert. Man fühlt sich als Teil des Ganzen.«
1781 Collective
Chris Lloyd, Musikalische Leitung, Klavier, Konzeption
Olaf A. Schmitt, Konzeption
Musik von Igor Strawinsky, John Dowland, Radiohead u. a.
sowie Improvisationen
Zum Abschluss des Festivals lässt sich das Motto »Woher klingt Musik?« mit allen Sinnen erleben. Einer der faszinierendsten Orte in Kassel, die Weinkirche aus dem 19. Jahrhundert, wird zu einem klingenden Erlebnisort und somit nach langer Zeit eimal wieder mit Live-Musik erfüllt. Das wandelnde Publikum wird von Klängen aus verschiedenen Räumen und Winkeln überrascht und eingeladen, sich mit der Musik auf eine Entdeckungsreise durch die geheimnisvollen Kellerräume zu begeben. Die vielseitigen Musiker*innen des 1781 Collective aus Berlin haben in den vergangenen Jahren mit ihren kreativen Bespielungen von besonderen Orten wie der historischen Musikbrauerei in Berlin zahlreiche Menschen begeistert und ihnen außergewöhnliche Räume eröffnet. In Labyrinth treffen Gesang sowie klassische Instrumente und Stücke auf Improvisationen und elektronische Klänge. In unmittelbarer Nähe interagieren die Musiker*innen mit den Menschen, die sie beobachten und ihnen zuhören. Rauschhafte Rhythmen wie in Igor Strawinskys Le sacre du printemps werden mit verschiedenen Instrumenten und elektronisch weitergesponnen. Mit Licht, Musik und szenischer Aktion verwandelt sich die Weinkirche in einen überraschenden und mysteriösen Ort, der sich auf vielfältige Weise erkunden lässt.
Termine
So 2.11.2025, 17:00 | Ticket
So 2.11.2025, 19:00 | Ticket
Musiktheater zwischen Andacht und Begehren. Anlässlich des 350. Todestages von Heinrich Schütz widmen sich NICO AND THE NAVIGATORS dem Werk des frühbarocken Komponisten.
Zwischen Seiten und Zeiten
Die ideale Bibliothek ist unendlich: Sie versammelt alle denkbaren Kombinationen jener Zeichen, mit denen sich Menschen verständigen – also jede mögliche Mitteilung in gebräuchlichen, vergessenen oder bislang unerhörten Sprachen, die vollständige Kollektion der Liebesbriefe und Hassbotschaften, Kriegserklärungen und Friedensverträge, Dramen, Enzyklopädien, Epen, Essays, Gedichte und Romane der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft … und vor allem Unleserliches, Unbrauchbares, Undenkbares. Es gleicht einem ungeheuren Zufall, in einem der Bücher einen sinnvollen Satz, geschweige denn ein lesbares Kapitel zu entdecken. Und doch ist das alles irgendwo vorhanden – sogar der Katalog, der sämtliche Bände der Bücherei in richtiger Reihenfolge verzeichnet. Und der wissenschaftliche Nachweis, dass dieses Register eine Fälschung ist. Und so weiter …
Irgendwo in den zahllosen Regalen, zwischen der Bibel und der kompletten Passwort-Sammlung für alle Atomwaffen dieser Welt, müsste auch das Libretto von „Fleisch und Geist“ zu finden sein – zumindest in der „Bibliothek von Babel“, wie sie der Dichter Jorge Luis Borges 1941 beschrieben hat. Die Quellen, die der Inszenierung von NICO AND THE NAVIGATORS zu Grunde liegen, sind von eifrigen Lesern jedenfalls bereits vor langer Zeit gefunden worden – Texte aus dem Neuen Testament, die sich mit der Unvereinbarkeit von Fleisch und Geist als Konstanten des menschlichen Daseins beschäftigen: „Denn das Fleisch gelüstet gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch; und diese widerstreben einander“, heißt es im Galaterbrief des Apostels Paulus. Und im Evangelium des Johannes findet sich ein eindeutiges Urteil: „Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch nützt gar nichts.“ Wenn man mit unvorstellbarem Glück jene Sammlung entdeckt hat, die vor langer Zeit von findigen Bibliothekaren zusammengetragen wurde (oder schon immer in einem der Regale gestanden hat?), versteht man auch die daraus gewonnenen Stücke in der Musikalien-Abteilung besser – etwa das „Anima mea liquefacta est“, das im Werkverzeichnis des Komponisten Heinrich Schütz (Welches Regal? Welches Fach?) unter der Nummer 236 zu finden ist, oder das „Magnificat anima mea Dominum“ mit der Ziffer 468. Die Texte aus dem Hohelied Salomo und aus dem Lukasevangelium scheinen in erotischer und religiöser Ekstase kaum zwischen zwei Buchdeckeln vereinbar. Und doch sind das Erhebende, Himmlische des Geistes und das Zerfließende, Irdische des Fleisches zwei Seiten derselben, menschlichen Prägung. Dass man diese Dialektik nur dann erkennen kann, wenn man die passenden theologischen Kommentare – und in unseren geistfernen Zeiten zudem ein brauchbares Wörterbuch – griffbereit hat, versteht sich von selbst. Aber vielleicht fragt man ja auch einfach einen jener Wanderer, die man im Labyrinth der Bücher zufällig trifft – einen Eiferer, der zur Vernichtung des unnützen Wissens aufruft. Einen Märtyrer, der unter der Last seiner gesammelten Schätze zusammenbricht. Einen Liebenden, der mit fremden Worten für die Unerreichbare schwärmt. Oder einen Zweifler, der wider besseres Wissen auf Erkenntnis hofft …Im Werkverzeichnis des Berliner Musiktheater-Ensembles um die Regisseurin Nicola Hümpel und den Szenografen Oliver Proske kommt „Fleisch und Geist“ eine besondere Stellung zu: Nach mehreren Projekten, in denen die Navigators akribisch die digitalen Möglichkeiten einer von Objektiven fokussierten oder durch Brillen erweiterten Wirklichkeit untersuchten, begegnen sie dem Jubilar Heinrich Schütz und seinen Zeitgenossen nun wieder in einem ausschließlich analogen Raum. Statt programmierbarer Kameras und Augmented-Reality-Apparaten gibt es Bücherstapel und Bilder – und Trouvaillen aus jenen Winkeln der Bibliothek, in denen eine universale Sprache ohne Worte hinterlegt ist. Dass dieser konsequente Schritt zurück nach vorn beglückende Energien und Phantasien freisetzt, hat sich auf dem Weg zum Stück immer wieder gezeigt: Da werden barocke Halskrausen zur würgenden Garrotte oder zum neckischen Tutu, da wecken kleine Wickelpuppen Erinnerungen an die Seelenkinder aus Klöstern oder an die Legende des heiligen Christophorus, da entpuppen sich horizontal geschichtete Stufen als himmelwärts weisende Kirchturmspitzen oder Kanzeln mit sündhafter Kehrseite … und jede spielerische Zweckentfremdung des Bühnenbildes stiftet überraschend neuen Sinn. In einer Gegenwart, die sich selbst in Nullen und Einsen zerlegt, um den Beschränkungen der Endlichkeit zu entkommen, geht „Fleisch und Geist“ auf die Suche nach eben diesen Grenzen – und findet bei Alten Meistern neue Anlässe für Andacht und Begehren.
Dabei wandelt das Ensemble auf einem schmalen Grat zwischen Frömmigkeit und Blasphemie: Der gleiche Wein, der sich im Abendmahl zum Blut des Erlösers wandelt, kann in der Orgie zu berauschter Enthemmung führen. „Hütet euch“, mahnt Schütz mit Worten aus dem Lukasevangelium, „dass eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen.“ In Maßen aber sei der Genuss gestattet, wie es in den „Symphoniae Sacrae“ heißt: „Iss dein Brot mit Freuden und trinke deinen Wein mit gutem Muth.“ Dass die Quelle für dieses Gebot das alttestamentliche Buch Prediger – und dessen Autor derselbe König Salomo ist, der mit seinem Hohelied für die freizügigsten Passagen der Bibel verantwortlich zeichnet, beglaubigt das Prinzip der Collage: Auch bei Schütz finden sich salomonische Texte wie das „Nachdem ich lag in meinem öden Bette“, das weniger von existenzieller Sinnsuche als vielmehr von körperlichem Begehren erzählt. Selbst die Taube, die in „Veni de Libano“ von den Bergen herabsteigen soll, hat mit dem gefiederten Sinnbild des Heiligen Geistes nichts gemein. Sie ist vielmehr die Freundin, deren Schönheit und Unschuld den Flehenden bezaubert.
Dass die Zerstörung der Bücher, das Verwehen der Fetzen von Glauben und Wissen nicht allein die Lebenszeit des „Sagittarius“ im Dreißigjährigen Krieg meinen kann, darf man auch angesichts der Vergegenwärtigung seiner Musik voraussetzen. Ein Trost aber bleibt: In der „Bibliothek von Babel“ und in den unendlichen Weiten der binären Codes sind selbstverständlich auch jene Kopien vorhanden, die schlimmstenfalls ein Komma von den verlorenen Schätzen abweichen …
(Andreas Hillger, Dramaturgie)
Nicola Hümpel, Künstlerische Leitung
Elfa Run Kristinsdottir, Musikalische Leitung
Oliver Proske, Bühne, Technische Leitung
Andreas Hillger, Dramaturgie
André Morsch, WA Bariton
Peyee Chen, WA Sopran
Ekaterina Bazhanova, Mezzosopran
Daniela Vega, Mezzosopran
Martin Buczko, Tanz, Choreografie
Yui Kawaguchi, Tanz, Choreografie
Florian Graul, Tanz, Choreografie
Kerstin Fahr WA, Blockflöte, Barockvioline
Anna Fusek, Blockflöte, Barockvioline
Elfa Run Kristinsdottir, Barockvioline
Daniel Seminara, Gitarren, Laute
Alon Portal, Gambe, Violone
Philipp Kullen, Percussions, Synthesizer
Nicola Hümpel, Kostüme
Marie Akoury, Kostüme
David Winter, Licht
Sebastian Reuter, Ton
Leroy Nikolas von Bergen, Licht
Wolke Mišewitch, Künstlerische Mitarbeit
Tobias Mertke, Künstlerische Mitarbeit
Sonja Winkler, Bühnenbildassistenz
Meret Zürcher, Kostümassistenz
Franziska Katharina Huhn, Produktion
Talea Nuxoll, Produktion
Leonie Schirra, Produktion
Termine
Sa 27.9.2025, 20:00 | Ticket
So 28.9.2025, 18:00 | Ticket
Ort
St. Elisabeth Kirche
Invalidenstr. 3
D-10115 Berlin
St. Elisabeth Kirche Berlin:
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Bewertungen & Berichte St. Elisabeth Kirche Berlin:
Fleisch & Geist
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Kasseler Musiktage
23.10. bis 2.11.2025
»Woher klingt Musik?«
In ihrer einzigartigen Vielfalt kann uns Musik in vergangene Zeiten führen, unbekannte Welten eröffnen und unsere Sinne auf überraschende Wege leiten. Und das auch gleichzeitig! 2025 laden die Kasseler Musiktage dazu ein, der Musik aus unterschiedlichen Epochen, Kulturräumen und Genres an besonderen Orten in der Stadt auf vertrauten und geheimnisvollen Pfaden nachzuspüren.
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Kartentelefon 0561-316 450 0 / Email vorverkauf@kasseler-musiktage.de
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